Die Online-Kommunikationsplattform BRAND EINS veröffentlichte kürzlich ein Interview, das sie mit der österreichischen Evolutionsbiologin Elisabeth Oberzaucher zum - man höre und staune - ÖPV (Öffentlicher Personenverkehr), genauer gesagt zum Verhalten von Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln geführt hat. Sie hat aus anthropologischer Sicht erläutert, warum Menschen sich eher ungern in öffentlichen Verkehrsmitteln "transportieren" lassen. Frau Oberzaucher berät auch Verkehrsunternehmen und Kommunen in diesem Bereich. 


Neben anderen Argumenten, die mehr oder weniger stichhaltig sind wie Preise und Pünktlichkeit / Zuverlässigkeit, erklärt sie sich die Abneigung vieler Menschen aus der Evolutionsbiologie heraus. Menschen haben sich über Jahrtausende, bevor sie in Städten lebten, in Gemeinschaften von maximal 100 - 150 Personen bewegt. Deshalb ist auch eine Menschenmenge von vielen tausend Menschen, wie wir sie in Großstädten erleben, vielen Menschen unangenehm. Obwohl der Mensch ein Herdentier ist, zieht er sich dennoch gerne in seine eigene, überschaubare Umgebung zurück. Paradoxerweise bevorzugt er in Zügen jedoch eher Großraumwagen als Einzelabteile mit bis zu sechs Reisenden, weil die Anonymität der Masse im Großraumwagen die Intimsphäre des einzelnen weniger beeinträchtigt als Fremde in einer engen Umgebung, deren Gespräche er mithören muss, wie z.B. in einem 6-er Abteil. Menschen fühlen sich sicherer, wenn sie einen guten Überblick haben, wollen aber den Bereich hinter sich abgedeckt wissen, wie z.B. vor einem Baum.

Darüber hinaus sind auch in den meisten Verkehrsmitteln des ÖPVs die Verkehrsmittel nicht so gestaltet, dass sie den angeborenen Präferenzen der Menschen entgegenkommen, sie fühlen sich als "Stückgut", das transportiert wird. Möglichst viele Passagiere in möglichst kurzer Zeit, da nur ökonomische Betrachtungen eine Rolle spielen und nicht die ererbten menschlichen Bedürfnisse. Hier wird das Auto eher präferiert, da es eine abgeschlossene Intimsphäre bildet, obwohl es aus ökologischer und städteplanerischer Sicht sicherlich die falsche Entwicklung ist.

Falsche Anreize spielen auch eine Rolle, wenn bereits der Eingangsbereich eines Fahrzeugs/Wagens sehr eng angelegt ist. Ein eher "trichterförmiges" Design würde Staus im Eingangsbereich vermeiden. Auch Lichtführung, Sitze, Anzahl der Sitze spielen eine Rolle. Sie plädiert für eine häufigere Taktung kleinerer Fahrzeuge, statt möglichst viele Passagiere in einem Fahrzeug, das seltener fährt, zu befördern.Das würde auch die Kapazitätsauslastung verbessern. Auch das Design der Umgebung spielt eine Rolle. So fühlen wir uns wohler, wenn in Bahnhöfen Ruhezonen mit Pflanzen und Brunnen den archaischen Eindruck einer Savannenlandschaft vermitteln, denn der Mensch kann über Jahrtausende entwickelte Verhaltensmuster nicht innerhalb weniger Jahre ändern. Dennoch verändern wir die Umwelt dramatisch und dieser Konflikt führt zu einer Dissonanz zwischen Befindlichkeit und Umwelt. Die Forschung ist allerdings hier noch am Anfang und man erhofft sich weitere, nützliche Erkenntnisse zur Verbesserung der Akzeptanz des ÖPVs.

Siehe auch Elisabeth Oberzaucher Interview